EGMR wertet Privatgutachten auf, Schatten über Bestellung durch die Staatsanwaltschaft

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Am 13.4.2013 hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) zu 30465/06 eine wichtige Entscheidung zur Frage der Bestellung von Sachverständigen und zum Stellenwert von Privatgutachten im Strafverfahren getroffen:

In einem 2005 gegen den Beschwerdeführer wegen sexuellen Missbrauchs Minderjähriger und wegen mehrerer Drogendelikte eingeleiteten Strafverfahren zog das Gericht einen neurologischen und psychiatrischen Sachverständigen bei, um zu prüfen, ob der Beschwerdeführer die Bedingungen für eine Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher gemäß § 21 Abs. 2 StGB erfüllte. Das Gutachten ergab die volle Zurechnungsfähigkeit des Beschwerdeführers sowie eine Sexualstörung, Pädophilie und narzisstische Persönlichkeitsstörung. Außerdem bestünde ein sehr hohes Risiko eines Rückfalls mit erheblichen Konsequenzen.

Ein von der Verteidigung vorgelegtes Gutachten eines privaten Sachverständigen wurde zwar nicht zugelassen, aber dem Gerichtssachverständigen übermittelt, der dazu auch schriftlich Stellung nahm. Außerdem konnte die Verteidigung den Gerichtsgutachter dazu ausführlich befragen und das Gericht setzte sich in seiner Entscheidung auch mit dem Privatgutachten auseinander.

Der EMGR führte aus, der Grundsatz der Waffengleichheit erfordere, dass jeder Partei die Möglichkeit gegeben wird, ihren Sachverhalt ohne Nachteil gegenüber der Gegenpartei vorzubringen. Der offizielle Sachverständige sei durch das Gericht und nicht durch den Staatsanwalt bestellt worden. Daher sei dieser nicht als eine der Parteien des Verfahrens zu betrachten, sondern als unabhängiger Sachverständiger, der das Gericht bei Fragen unterstützte, die die Richter nicht selbst klären konnten. Da der Gerichtsgutachter auf die Kritik reagiert habe, indem er seinem Gutachten eine Ergänzung hinzufügte, die auf jeden einzelnen vom Privatgutachter vorgebrachten Punkt einging, und da weiters der gerichtliche Sachverständige dem Beschwerdeführer und seinem Anwalt während der mündlichen Verhandlung drei Stunden für Fragen zur Verfügung stand und die Gerichte ausführlicherläutert hätten, warum sie das Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen als verständlich und überzeugend eingestuft hätten, sei das Recht auf ein faires Verfahrennicht verletzt worden.

Bemerkenswert ist, dass das zugrunde liegende Strafverfahren noch nach den Bestimmungen vor der erst 2008 in Kraft getretenen StPO-Novelle geführt wurde, sodass der Sachverständige nicht von der Staatsanwaltschaft, sondern vom Gericht bestellt worden war. Dass auch die jetzt vorgesehene Bestellung des Sachverständigen durch die Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren der EMRK entspricht, darf nach dieser Entscheidung bezweifelt werden. Bei der damit notwendig gewordenen Gesetzesänderung sollte auch dem in der Rechtsprechung der letzten Jahre eingeräumten höheren Stellenwert des Privatgutachtens Rechnung getragen und die durch das Budgetbegleitgesetz 2010 beseitigte Regelung des § 127 Abs 2 StPO über die Teilnahmemöglichkeit an der Befundaufnahme wieder eingefügt werden.

Hier finden Sie den Text der Entscheidung als PDF.

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